Adorno

Adorno
I
Adọrno,
 
genuesische Adelsfamilie, stellte im 14. und 15. Jahrhundert sieben Dogen der Stadtrepublik Genua. Zweige der Familie erlangten in Spanien und Flandern Ansehen und Wohlstand.
II
Adọrno,
 
Theodor W., früher T. Wiesengrund, Philosoph und Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist, * Frankfurt am Main 11. 9. 1903, ✝ Visp (Kanton Wallis) 6. 8. 1969; gilt neben M. Horkheimer als Hauptvertreter der kritischen Theorie der Gesellschaft (»Frankfurter Schule«). Adorno studierte seit 1921 in Frankfurt am Main Philosophie, Psychologie, Soziologie, Musikwissenschaft und 1925/26 in Wien bei A.Berg Kompositionslehre und bei E. Steuermann Klavier; war zeitweise als Musikkritiker tätig. 1931 habilitierte er sich in Frankfurt bei P. Tillich mit einer Arbeit über S. A. Kierkegaard (»Konstruktion des Ästhetischen«). 1934 emigrierte er nach Großbritannien und übersiedelte 1938, auf Einladung Horkheimers, in die USA. Dort arbeitete er u. a. als Mitglied des von Frankfurt nach New York verlegten »Instituts für Sozialforschung«. 1942-44 verfasste er mit Horkheimer die »Dialektik der Aufklärung«, eine ideologiekritische Betrachtung zur Krise der europäischen Zivilisation. Nach Adorno ist Freiheit - und damit eine Erfüllung der genuin menschlichen Bedürfnisse nach politischer Partizipation und Autonomie, nach Bildung, nach echtem Glück - unabdingbar an Aufklärung und Vernunft gebunden, eine These, die sein gesamtes Werk durchzieht. Rationales Denken, das seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts technische Naturbeherrschung als Fortschritt ermöglicht habe, werde in der modernen Industriegesellschaft gezielt-manipulativ, das heißt anti-aufklärerisch zur Sicherung von Herrschaft über Beherrschte verwendet (z. B. im Faschismus, in der modernen, Unfreiheit verschleiernden Kulturindustrie). Breite Anerkennung erwarb sich Adorno als Mitverfasser von »The authoritarian personality« (1950), einer empirisch fundierten, soziologischen Studie über das Vorurteil und über den Zusammenhang von Autoritätsgläubigkeit und Faschismus.
 
1949 kehrte Adorno nach Frankfurt am Main zurück, lehrte seitdem dort Philosophie und Soziologie und leitete mit Horkheimer das Institut für Sozialforschung. Neben zahlreichen kulturkritischen Schriften zu philosophischen, musiktheoretischen Literatur- und sozialwissenschaftlichen Themen entstanden hier Adornos Hauptwerke.
 
Die »Negative Dialektik« (1966) ist eine dialektische Besinnung auf die Nicht-Identität des erkennenden Subjekts und des einzelnen Objekts, das in der Geschichte der Philosophie zugunsten von Systembildungen immer wieder gewaltsam entstellt worden sei. Adorno sieht die Aufgabe der Philosophie darin, die gesellschaftlichen Probleme mit ihren philosophischen Mitteln zur Darstellung zu bringen, ausgehend von bestehender Entfremdung, Leiderfahrung und Widersprüchen, »wie denen zwischen Individuum und Gesellschaft, Natur und Geschichte, Begriff und Gegenstand, Theorie und Praxis«. Im Hintergrund steht die Utopie einer Versöhnung von Subjekt und Objekt, in der die Emanzipation des vorher unterworfenen Individuellen gelungen ist. Fragment geblieben ist die aus dem Nachlass 1970 herausgegebene »Ästhetische Theorie«. Sie ist gleichermaßen gegen phänomenologische und psychoanalytische Deutungen der Kunst gerichtet und wendet sich gegen ihre Erscheinungsform als »Ware«.
 
Im Sinne einer Kunst als begriffsloser Erkenntnis steht die Musik in Adornos Kunstphilosophie paradigmatisch für alle Kunst. Anhand der Kategorie des »musikalischen Materials« versucht Adorno in der »Philosophie der neuen Musik« (1949) die zweite Wiener Schule (u. a. A. Schönberg) gegenüber den so genannten restaurativen Tendenzen des Neoklassizismus (v. a. I. Strawinsky) als den eigentlichen musikgeschichtlichen Fortschritt zu legitimieren. Dabei versteht Adorno unter musikalischem Material nicht etwas Vormusikalisches oder Naturgegebenes im Sinne der Physiologie oder Musikpsychologie. Vielmehr ist für Adorno bereits das Grundmaterial der Musik (z. B. Töne, Intervalle usw.) in der konkreten historischen Situation des Komponisten immer schon vermittelt, das heißt, am jeweiligen »Stand« des Materials selbst offenbart sich eine »Tendenz«, die eine Entwicklung zwingend notwendig macht (z. B. Konsonanz - Dissonanz - Zwölftonmusik).
 
Als Komponist schrieb Adorno Lieder mit Klavierbegleitung zu Texten von S. George, G. Trakl, Else Lasker-Schüler, O. Kokoschka, G. Heym und B. Brecht sowie Kammermusik, Orchesterwerke und ein Chorwerk.
 
1961 begann auf dem Soziologentag in Tübingen eine Auseinandersetzung zwischen K. Popper und Adorno über Methodenprobleme der Sozialwissenschaften (Positivismusstreit). Adorno beeinflusste die neomarxistische Studentenbewegung der 60er- und frühen 70er-Jahre. Seine Gesellschaftsanalysen wurden zwar anerkannt, gleichzeitig wurde aber ihre praktische Unbrauchbarkeit bemängelt. Die hermetische Abriegelung gegen Praxis habe die politische Wirksamkeit philosophischer Kritik verhindert.
 
Offizielle akademische Würdigung erfuhr Adorno erst spät. Die Stadt Frankfurt am Main verleiht zu seiner Erinnerung den Theodor-W.-Adorno-Preis.
 
Werke: Kierkegaardische Konstruktion des Ästhetischen (1933); Dialektik der Aufklärung (1947, mit M. Horkheimer); Philosophie der neuen Musik (1949); The authoritarian personality (1950, mit anderen; deutsch Der autoritäre Charakter); Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (1951); Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft (1955); Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt (1956); Noten zur Literatur I-IV (1958-74); Mahler. Eine musikalische Physiognomik (1960); Einleitung in die Musiksoziologie (1962); Drei Studien zu Hegel (1963); Quasi una fantasia (1963); Jargon der Eigentlichkeit (1964); Negative Dialektik (1966); Komposition für den Film (1944, erschienen1969; mit H. Eisler); Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (1969, mit anderen); Ästhetische Theorie (1970).
 
Gesammelte Schriften, herausgegeben von G. Adorno und R. Tiedemann, bis 1986 19 Bände (1970 folgende); T. W. Adorno Kompositionen, herausgegeben von H.-K. Metzger und R. Riehn, 2 Bände (1979).
 
 
T. W. A. zum Gedächtnis, hg. v. H. Schweppenhäuser (1971);
 M. Tichy: T. W. A. (1977);
 M. Zenck: Kunst als begriffslose Erkenntnis. Zum Kunstbegriff der ästhet. Theorie T. W. A.s (1977);
 B. Herrmann: T. W. A. (1978);
 
A. u. die Musik, hg. v. O. Kolleritsch (Wien 1979);
 K. Sauerland: Einführung in die Ästhetik A.s (1979);
 L. Sziborsky: A.s Musikphilosophie (1979);
 G. P. Knapp: T. W. A. (1980);
 H. Mörchen: Macht u. Herrschaft im Denken von Heidegger u. A. (1980);
 H. Mörchen: A. u. Heidegger. Unters. einer philosoph. Kommunikationsverweigerung (1981);
 A. Allkemper: Rettung u. Utopie, Studien zu A. (1981);
 
A.-Konferenz 1983, hg. v. L. v. Friedeburg u. J. Habermas (1983);
 R. Hoffmann: Figuren des Scheins. Studien zum Sprachbild u. zur Denkform T. W. A.s (1984);
 F. H. Paffrath: Die Wendung aufs Subjekt. Pädagog. Perspektiven im Werk T. W. A.s (21994).

Universal-Lexikon. 2012.

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